3. Die Lebensbedingungen des Ölbaums.

Der Ölbaum ist in jeder Hinsicht ein echt mediterranes Gewächs, ja geradezu das charakteristischste unter den immergrünen laubtragenden Holzgewächsen der Mittelmeerländer, auch an Individuenzahl der erste Fruchtbaum dieses Baumzucht in so hohem Maße pflegenden Gebiets. Er ersetzt in der immergrünen Region auch landschaftlich, ja selbst vielleicht klimatisch die verwüsteten und in die Gebirge zurückgedrängten Wälder; ja, es gibt Olivenhaine, die völlig waldartigen Eindruck machen. M. Willkomm15) schildert den 90 km langen Olivenhain im oberen Niederandalusien, namentlich nördlich vom Guadalquivir, dessen Mittelpunkt die im Durchbruchstal des Guadalquivir sehr malerisch gelegene Stadt Montoro ist, von deren Turme man, wohin immer man schaut, breitgewölbte Berge erblickt, die gänzlich von dunkeln, in der Ferne wie dichtgeschlossene Waldung erscheinenden Olivenhainen bedeckt sind. "Wenn nicht die aus losen Steinen errichteten Einfriedigungsmauern der einzelnen Besitztümer, die zu diesen führenden Wege und hier und da eine Wächterhütte oder ein Schuppen daran erinnerten, daß man sich in Hainen zahmer Ölbäume befindet, so würde man diese für ursprüngliche Wälder zu halten geneigt sein, zumal die Ölbäume ganz regellos, alte und junge durcheinander stehen und oft mit Immergrüneichen gemengt sind." In lichten Hainen, die sanften oder terrassierten Hänge der reichgegliederten Mittelmeerländer, selten die Ebenen bedeckend, verleibt er mit Beinen graugrünen, kleinen, steifen Blättern, die sich alle 2—3 Jahre erneuern, seinen, wenn er alt wird, knorrigen Stämmen der Mittelmeerlandschaft ein ganz eigenartiges Gepräge. Sein Höhenwuchs ist wie der aller immergrüne Laubblätter tragenden Holzgewächse der Mittelmeerländer ein geringer, auch unter den günstigsten Bedingungen, namentlich auf feuchtem, tiefgründigem Alluvialboden, und wo sein Wuchs nicht von der Hippe des Gärtners beeinflußt ist, erreicht er doch selten mehr als 10m Höhe. In Südfrankreioh zieht man ihn künstlich so, daß er, wenn auch ein Baum, doch vielfach nur 3, ja nur 2 m hoch wird. Auch der Stamm erreicht selbst bei Jahrhunderte alten Bäumen nur aus-nahmsweise auffallende Dicke, wie Samuel White Baker bei Dali auf Cypern solche von 29 engl. Fuß Umfang sah. Solche alte Ölbäume ähneln dann von fern wohl alten Weiden. Bei Röraas in Norwegen sah ich klimatisch verkümmerte Birken über einen Berghang verstreut, die ich im Mittelmeergebiet für noch junge Ölbäume gehalten hätte. Meist wird der Ölbaum im Alter hohl, der Stamm zerspringt und löst sich in eine Gruppe knorriger, gespensterhaft verzerrter Stämme mit wunderlich verstrickten Gliedern auf, deren Zusammengehörigkeit man noch erkennen kann, zu der sich bei mangelnder Pflege bald noch Stämme aus Wurzelschößlingen gesellen.

Bei seiner durch die wenigen und kleinen Blätter dürftigen Belaubung läßt auch ein dichter Olivenhain das Licht der hochstehenden Sonne des Südens zum Teil den Boden erreichen, was häufig eigenartige Beleuchtungswirkungen hervorruft und noch anderweitige Verwertung des Bodens ermöglicht. Ein Spaziergang im Olivenhain ist daher auch einer der eigenartigen Genüsse, die nur die Mittelmeerländer zu bieten vermögen. Doch ist der Eindruck, den der Nordländer vom Ölbaum mit seiner spärlichen, silbergrauen Belaubung empfangt, meist nicht der freudiger Üppigkeit, eher der der Melancholie und der Trauer. Auch der junge Ölbaum erscheint bald alt, da die Rinde rasch rissig und knorrig wird und die dürftigen hellgraugrünen Blätter auch bei leichter Luftbewegung ihre weiße Unterseite zeigen. So oft ich den Ölbaum und Olivenhaine in den verschiedensten Mittelmeerländern gesehen habe, so möchte ich es doch vorziehen, die Physiognomie derselben und seine Rolle in der Mittelmeerlandschaft mit den Worten des berühmten Astronomen und Geographen Julius Schmidt1) zu schildern, des Erforschers und Kenners von Griechenland: "Wenn in dem dürren, vielfach verödeten Lande in der Sonnenglut des Mittags der Miltem (Etesien) den Staub in hohen gewundenen Tromben über die Felder und Wege führt, erscheint der Ölbaum in der Ebene (des Kephissos) fast als der einzige Verkünder einer noch nicht ganz erstorbenen Vegetation. Auch im Winter, wenn der Schnee weit vom Gebirge in das Hügelland hinabreicht und das zuerst so lebhafte Grün der Bergpinien nur als dunkle Schattierung an den Höhen kenntlich bleibt, erfreut die waldähnlich im Kephissostal hingebreitete Olivenpflanzung durch das ernste graugrünliche, nimmer schwindende Laub der runden Baumkronen das Auge um so mehr, je länger es sich vormals an dem Anblick nordischer Wälder und Wiesen verwöhnt hatte. Wunderbar ist der Anblick des uralten Ölbaums, wie er hier gesehen wird. So erschien mir keiner unter den Tausenden, die ich früher in der Lombardei, bei Rom und Neapel kennen lernte. Mit seinem bald auseinandergeborstenen, bald torartig geöffneten niedrigen Stamme, schraubenförmig gedreht, dann wieder pyramidal gestaltet, besetzt mit Höckern mit halb kugeligen und ganz unregelmäßigen steinfarbigen Auswüchsen, gleicht der untere Teil oft einem mächtigen Felsblocke, aus dessen Spalten sich laubreiches, frisches Gebüsch erhebt Dennoch nährt sich der alternde Baum ungeachtet seines verwüsteten Fundaments, in welchem oft hohe glänzendgrüne Aroideen und andere Pflanzen, zurückgezogen in geräumige Höhlungen des Stammes und geschützt vor den heftigen Nordwinden, ein bevorzugtes Dasein führen. In seiner Laubkrone gleicht er seinen jüngeren Nachbarn und verrät nicht hinschwindende Lebenskraft. Wohl aber mahnt er daran, ob nicht unter den grauen Riesenbäumen bei Kephissia, Marousi und Athen einige mit ihrer Jugend in jene Zeit hinabreichen, als die Stadt noch groß und mächtig war."

1) Beiträge zur phys. Geographie von Griechenland, Athen 1861, I, S. 389.

aus "Der Ölbaum" von Theobald Fischer, 1904