I. Allgemeines.

1. Die Geschichte des Ölbaums.

Die Frage nach der Heimat des Ölbaums (Olea europaea β. sativa DC.), nach der Gegend, von welcher aus er als edler Fruchtbaum verbreitet worden ist, ist viel erörtert worden. Sie ist von der Frage nach dem Vorkommen des wilden Ölbaums (Olea europaea α. Oleaster DC.) zu trennen, denn so sicher der wilde Ölbaum heute vom Ostrande des Hochlandes von Iran bis zu den westlichsten Tälern des Atlas vorkommt, so sicher läßt sich die Verbreitung des edeln Fruchtbaums von Osten, von Syrien her, über die Mittelmeerländer und von diesen über gewisse klimatisch geeignete Landschaften Nord- und Südamerikas, Südafrikas und Australiens geschichtlich nachweisen. Geteilt sind die Meinungen nur darüber, ob der Oleaster ursprünglich seine heutige Verbreitung gehabt hat, oder ob seine Verbreitung auf diejenige des Ölbaums zurückzuführen ist, d. h. daß er ein verwilderter, aus Samen entsprossener Ölbaum ist. Ich neige als Geograph nach dem Vorkommen des Oleaster in Gegenden, wo an eine derartige Verbreitung nicht zu denken ist, der ersteren Ansicht um so mehr zu, als sie von namhaften botanischen Systematikern geteilt wird. Cosson z.B., der beste Kenner der Pflanzenwelt der Atlasländer, fand in der Umgebung von Maskara wilde Ölbäume, die so groß und so fruchtbar waren wie edle. Er hält den Ölbaum für in den Atlasländern heimisch. Der gleichen Meinung ist der namhafte algerische Forstbotaniker Battandier, der sich mit aller Bestimmtheit dahin ausspricht, daß nach ihrer heutigen allgemeinen Verbreitung keine Pflanze in Algerien mit höherem Recht als einheimisch angesprochen werden könne wie der Ölbaum, der dort, fern von jedem als möglich denkbaren Einflüsse des Menschen, einen wichtigen Bestandteil der Wälder bildet. Auch Ball, Hookers Begleiter auf seiner Forschungsreise im südwestlichen Marokko im Jahre 1872, erklärte den Ölbaum als im nördlichen und westlichen Marokko wild1). Für Griechenland sprach sich der damals beste Kenner der Pflanzenwelt Griechenlands, Th. von Heldreich, in einem Briefe aus Athen vom 8. April 1882 genau so aus. Der Ölbaum wird auch da, wo er, wie etwa in Barka, viele Jahrhunderte, ja vielleicht ein Jahrtausend lang nicht gepflegt worden ist, nicht zum Oleaster, er verkümmert, die Früchte werden kleiner, wie bei jedem ungepflegten Obstbäume, aber er bleibt ein Ölbaum. Der Oleaster seinerseits bringt zwar bei sorgsamer Düngung, Beschneidung &c. etwas größere und ölhaltigere Früchte hervor wie vorher, auch ist das wenige so gewonnene Öl besser wie vorher, aber er bleibt ein Oleaster, nur durch wirkliche Veredlung, Pfropfen, wie sie in Algerien in den Wäldern wilder Ölbäume im großen durchgeführt worden ist, wird er zum Ölbäume. Er tritt als echter Waldbaum selbst in reinen Beständen, namentlich in den Gebirgen der westlichen Mittelmeerländer, auf, wo er unmöglich an Stelle verwahrloster Olivenhaine getreten sein kann. Schon Theophrast2) spricht den Satz aus: ein Oleaster kann nicht zum Ölbaum werden. Der Oleaster ist nach seinem ganzen Habitus ein echter Vertreter der immergrünen mediterranen Holzgewächse, den im Mittelmeergebiet außerordentlich verbreiteten Phillyreen sehr ähnlich. Er hat dornige, mehr oder weniger vierkantige, ziemlich regelmäßig angeordnete Zweige, eine glattere, grauere Rinde, längliche oder eiförmige vereinzelte Blätter von etwas grünerer Farbe und ganz kleine, wenig fleischige Früchte, während der Ölbaum der Bedornung entbehrt und fast stielrunde Zweige und lanzettliche Blätter hat. Gewöhnlich erscheint der Oleaster auch als Busch von nur 3—4 m Höhe, nur ausnahmsweise als stattlicher Baum. M. Willkomm8), der beste Kenner der Flora der Iberischen Halbinsel, gibt zwar auch zu, daß die Kultur des Ölbaums aus dem Orient stamme, hält den Oleaster aber für in Spanien und Marokko einheimisch. Er hebt namentlich hervor, daß sich keine alten Stämme unter den wilden Ölbäumen finden, welche er auf Majorka in Mischwäldern mit Immergrüneichen und Aleppokiefern, in wahren Urwäldern auf der Sierra de Palma, dem zentralen Teile des Gebirges von Algesiras, zusammen mit uralten Korkeichen und anderen Eichen, in fast reinen Beständen 13—16 m hoher Stämme zwischen Utrera und Sevilla antraf. In den Mischwäldern der Sierra de Palma erreichen die Oleaster bis 20 m Höbe und bilden, besonders in der oberen Region, auch für sich allein ganz dicht geschlossene Bestände, deren schlanke, gerade Stämme hoch angesetzte Kronen tragen. Willkomm 4) erklärt diese Bäume als wirklich wild, nicht verwildert, da in diesem abgelegenen, wilden Gebirge wohl niemals Anbau geherrscht habe, und meint, daß dies Vorkommen die Ansicht derer bestätige, welche behaupten, daß der Ölbaum nicht bloß im Orient, sondern rings um das Mittelmeer von Anfang an heimisch gewesen sei. Der Oleaster sei nicht durch Verwilderung des edeln Ölbaums entstanden, sondern sei dessen Stammpflanze. Auf Majorka bildet in der Nähe der Gebirgszüge des Südens und Ostens die baumartige Form des wilden Ölbaums einen hervorragenden Teil der Mischwälder, während die strauchartige Form als Unterholz häufig vorkommt. Diese ist, über die ganze Insel verbreitet, ein gewöhnlicher Bestandteil der Macchien (Monte bajo) und steigt in der Sierra bis an die Grenze der Immergrüneiche, d. h. bis 850 m, empor. Früher hat man auf Majorka nur wilde Ölbäume veredelt, keine edeln gepflanzt. Das erklärt die Regellosigkeit alter Olivenhaine und die häufige Vermischung derselben mit Immergrüneichen, weil dieselben eben aus wirklichen Waldbeständen hervorgegangen sind.

Noch früher hat sich der Botaniker H. F. Link der Südeuropa sehr genau kannte, dahin geäußert, daß der wilde Ölbaum, der in Südeuropa wachse, eine besondere Art zu sein scheine. Doch gebe es so viele Mittelstufen, so daß er auch denen nicht widersprechen wolle, welche den zahmen und wilden Ölbaum als Abarten derselben Art betrachten, nur müsse er erinnern, daß von diesem wilden Ölbaume des südwestlichen Europa der gebaute Ölbaum nicht abstamme.

Ganz neuerdings hat sich auch A. Engler4) ganz im Sinne M. Willkomms dahin ausgesprochen, daß, da die Früchte des Ölbaums durch Vögel verbreitet werden und im Mittelmeergebiet allenthalben die Daseinsbedingungen für denselben gegeben waren, es ganz begreiflich sei, daß er sich über dies Gebiet ausbreitete, daß er aber als Kulturpflanze ein Erzeugnis der Kulturvölker des Orients sei. Wie weit zurück aber diese allgemeine Verbreitung reicht, das erhellt, abgesehen von den Funden von Santorin und Kreta, daraus, daß in Spanien in neolithischen Fundstätten kleine Steinkerne des Oleaster, ja in Italien in pliozänen Lagerstätten bei Mongardino, 18 km nördlich von Bologna, am linken Ufer des Reno, also an der heutigen Polargrenze, Blätter des Ölbaums nachgewiesen worden sind 3).

Von Gegnern dieser Anschauung sei nur Boissier*) erwähnt, der es für allgemein anerkannt hielt, daß der Oleaster nicht die wilde Stammart sei, sondern verwildert, daß der Ölbaum nirgends in Europa heimisch sei, sondern aus dem Orient stamme.

Sehr lehrreich ist, daß die Berbern der Atlasländer für den Ölbaum den arabischen Namen Zitun gebrauchen, den Oleaster aber, der in den Atlasländern, besonders in Algerien, sehr häufig ist und auch als reiner Waldbaum auftritt, Sebbüdj nennen, eine Bezeichnung, die in Algerien auch die Araber aufgenommen haben5). In der marokkanischen Landschaft Abda, im Hinterlande von Saffi, sah ich einen zwar strauchartig gewachsenen, aber 8 m hohen wilden Ölbaum, den einzigen Baum in der weiten Ebene auf vielleicht 10 km in der Runde, der als heilig, als heilige Frau Lella Sebbudja (Herrin wilder Ölbaum) verehrt wird. Auch Semür bezeichnet im Berberischen von Marokko den wilden Ölbaum5). Die Mündungsstadt der Um-er-Rbia, Azemur, und der neuerdings soviel genannte unabhängige Berbernstamm im Nordosten von Rabat ist danach benannt.

Selbst die Tuareg der Wüste haben neben dem arabischen Zitüna für den edeln Ölbaum einen eigenen Namen für den Oleaster: Tahatimt6). Aus diesen verschiedenen berberischen Namen kann man wohl mit Bestimmtheit schließen, daß der Oleaster in den Ausländern einheimisch ist. Auch werden von den Rif-Berbern in Nordmarokko die kleinen schwarzen Beerenfrüchte des Oleaster zur Bereitung eines brauchbaren Speiseöls verwendet.

Umgekehrt scheint in Südchile und Mexiko der Oleaster ganz unbekannt zu sein, obwohl dort im Laufe von mehr als 3 Jahrhunderten doch wohl hinreichend Gelegenheit zur Entwickelung aus Samen oder Verwilderung vorbanden gewesen sein dürfte.

Der Ölbaum gehört zu der nach Artenzahl oder sonstiger Bedeutung keineswegs hervorragenden, vorzugsweise die Tropen bewohnenden Familie der Oleineen (oder Oleaceen), und zwar zu der Sekt. Euelaea De Candolles7). Er allein erreicht, ähnlich der Dattelpalme unter den Palmen, von allen Oleineen höhere Breiten, in Südtirol 46° 5' n. Br. Es scheint, als habe sich der Ölbaum aus dem Monsungebiet nach Westen und Norden verbreitet, etwa über Iran nach Syrien, von da nach Kleinasien und weiter nach Westen über das Mittelmeergebiet. P. de Lagarde1) führt auch den griechischen Namen auf das Armenische zurück, wobei allerdings zu beachten ist, daß der Ölbaum kaum an den äußersten Grenzen des heutigen Armenien seine Daseinsbedingungen findet. Es will auch scheinen, als bliebe der Oleaster im allgemeinen weit von der Polargrenze des Ölbaums zurück.

Die östlichsten Standorte des Oleaster, die mir bekannt sind, finden sich im äußersten Osten des Hochlandes von Iran, wo Bellew2) solche auf dem Plateau von Beludschistan im Surabtale in nahezu 2000 m Höhe erwähnt. Der einheimische Name ist Khat, in Afghanistan Khoan. Auch Sultan Baber nennt bei seiner Schilderung der pflanzlichen Erzeugnisse von Kabulistan den wilden Ölbaum8). Elphinstone4) sah beim Aufstieg vom Indus auf das Hochland von Iran die ersten wilden Ölbäume im Norden von Calabangh. Im Tale des Zam, etwas oberhalb Puloseen im Solimangebirge, sah Dr. John Lindsay Stewart5) schöne Ölbäume, die er in jenem Hügellande als die gewöhnlichsten Bäume bezeichnet, deren festes Holz viel verarbeitet wird. Er fügt ausdrücklich hinzu Olea europaea, Kaü in Pendschabi, Khwan in Puschtu. Wir werden sehen, daß der Ölbaum wohl nicht ganz so weit nach Osten vorkommt. Mit diesen Angaben stimmt überein, daß auch A. De Candolle6) den Oleaster von Pendschab und Beludschistan bis Marokko, Madeira und den Kanarischen Inseln verbreitet sein läßt. Ob es sich aber bei diesen östlichsten Vorkommen nicht wenigstens zum Teil um den indischen Ölbaum, Olea cuspi-data Wall.7), handelt, wage ich nicht zu entscheiden. Derselbe kommt im trockenen nordwestlichen Indien vor, von der Jumna nach Westen, im Pendschab und Sindh, weiterhin auch in Afghanistan und Beludschistan. Theophrast hat ihn nach der Darstellung der Griechen des Alezanderzuges, die ihn zuerst im Kabultale kennen lernten, nach geringen Merkmalen vom wilden Ölbaum Griechenlands, dem , unterschieden, wie ihn auch die neuere Systematik davon unterscheidet. Er nehme eine Mittelstellung zwischen dem Ölbaum und dem Oleaster ein. Dieser indische Ölbaum würde also die subtropische Olea europaea mit den tropischen Oleineen verbinden.

Auch in der Richtung des tropischen Afrika scheint eine solche Verbindung zu bestehen. G. Schweinfurth8) fand, wie schon vorher am nubischen Elbagebirge (22° n. Br.) westlich von Suakin (19° n. Br.), bei Erkanit auf den nördlichsten Vorhöhen Abessiniens, dessen Ölbäume (Olea chrysophylla und Olea lancifolia) Olea europaea sehr ähneln, den wilden Ölbaum in Strauchform nach Vergleichung mitgebrachter Exemplare völlig mit dem mediterranen übereinstimmend. Freilich irrt er, wenn er meint, daß der wilde Ölbaum in Griechenland nicht mehr vorkomme.

In Syrien kommt der Oleaster gewiß an vielen Stellen Mittel- und Nordsyriens als Waldbaum vor, aus Südsyrien ist mir sein Vorkommen in Adschlun bekannt9), wo er in dichten Beständen die Abhänge südlich und westlich von Birma kilometerweit bedeckt. In Cypern fand White Baker10) wilde Ölbäume in Menge im Buschwalde von Baffo und des Karpasdistrikts, im südlichen Kleinasien L. Roß bei Kekova und Kalamaki waldbildend neben der Aleppokiefer und andern Kiefern. Nach Grisebach11) kommt der wilde Ölbaum in der immergrünen Region Makedoniens, Thrakiens und Bithyniens bis 400 m vor.

1) Nachr. der Gött. Ges. d. Wies. 1889, S. 299.
2) From the Indus to the Tigris, S. 78.
3) Das Ausland, Jahrg. 1860, S. 964.
4) Bei K. Hitter, Asien XI, S. 523.
5) Journal of the Geogr. Soc. XXXII, 1862, S. 823.
6) Der Ursprung der Kulturpflanzen, Leipzig 1884, S. 350.
7) H. Bretsl, Botanische Forschungen des Alexanderzuges, Leipzig 1903, S. 240.
8) Im Herzen von Afrika, Bd. I, Leipzig 1874, S. 28.
9) Schuhmacher, Mitt. u. Nachr. des deutschen Palästinavereins, 5. Jahrg., 1899, S. 5.
10) Cypern im Jahre 1879, übers. Ton Oberländer, Leipzig 1880, S. 277.
11) Spicilegium florae rumelicae et bithynicae, Braunschweig 1843, II, S. 71.

aus "Der Ölbaum" von Theobald Fischer, 1904