Einleitung.

Olea prima omnium arborum est.
Columella De re rustica lib. V, cap. 8/9.
Hier auch blüht ein Gewächs, wie im Gefild Asia keines
Noch auf dorischer Flur dort in dem weit
Prangenden Eilande des Pelops
Erwuchs; von selbst ohne Pflege keimt es;
Der Feindesspeere Schrecken ist's,
Das mächtig aufblüht in dieser Landschaft:
Mein sproßnährender blauschimmernder Ölbaum,
Den kein bejahrter, kein junger Heerfürst
Je mit feindlicher Hand tilgend verheert;
Denn mit dem ewigen wachen Blick
Sehn Zeus Morios' Augen ihn
Und helläugig Athene.

Sophokles' Ödipus auf Kolonós 694—705 übers. von Donner.

Obwohl die Dattelpalme, welcher ich vor einem Vierteljahrhundert eine ähnliche Studie gewidmet habe, vielleicht die Phantasie des Menschen, wenigstens des Nordländers, dem sie zuerst die neuen Pflanzenformen der Tropen veranschaulicht, noch in höherem Maße beschäftigen dürfte, als der Ölbaum, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß ihr der Ölbaum auch in dieser Hinsicht nur wenig nachsteht, sie aber an wirtschaftlicher Bedeutung weit überragt. Die Zahl der Erdenbewohner, deren wirtschaftliches Wohl von diesem Baume abhängt, ist unendlich viel größer, wie auch die Pflanzungen und die Zahl der Ölbäume viel größer ist. Denn während die Dattelpalme, deren Verbreitungsgebiet mit der Nordhälfte und dem Nordrande des großen altweltlichen Wüstengürtels vom Induslande bis an den Atlantischen Ozean ungefähr zusammenfällt, also einem Gebiete, das auch mit Hilfe dieses Baumes keiner großen Verdichtung der Bevölkerung zugänglich ist, immer nur in Gruppen, oasenartig, wenn auch gelegentlich zu Hunderttausenden von Stämmen auftritt, bedeckt der Ölbaum, oft mit Ausschluß andrer Bäume, in einem polwärts sich unmittelbar an den Dattelpalmengürtel anlagernden Gürtel, der durch regelmäßige, aber um die Zeit des niedrigsten Sonnenstandes zusammengedrängte Niederschläge gekennzeichnet wird, unabsehbar ganze Landschaften in lichten Hainen. Man denke an Ligurien, Apulien, Niederandalusien, den tunesischen Sahel. Kann doch die Zahl der Ölbäume in Italien, dem fruchtbaumreichsten unter allen an Fruchthainen so reichen Mittelmeerländern, auf reichlich 100 Millionen geschätzt werden, in Spanien auf 300 Millionen! Man vergleiche damit, daß die Zählung von 1902 im ganzen Deutschen Reiche überhaupt nur 164 Millionen Obstbäume festgestellt hat! Noch in dem weithin baumlosen, sich eben erst aus furchtbarer Verödung erhebenden Tunesien, das in seinen mittleren und nördlichen Landschaften in spätrömischer Zeit ein einziger ungeheurer Olivenhain war und es wohl in nicht ferner Zukunft wieder werden wird, zählt man jetzt wieder 20 Millionen Ölbäume. Ja, für Korsika, wo allerdings die Landschaft Balagna ein ungeheurer Olivenhain ist, gibt ein einheimischer Gewährsmann1) die Zahl der Ölbäume auf 36 Millionen an. Bei einer Zählung 1812 seien es 12 Millionen gewesen. Ein Mann, der im tunesischen Sfax 1000 Ölbäume besitzt, gilt als reich. Bei den kleinasiatischen Griechen, auf Lesbos, bei Aivalik und Edremid, bilden Ölbäume die Mitgift der Töchter, deren Vermögen nach der Zahl der Ölbäume geschätzt wird. Auf dem einen Drittel des südfranzösischen Arrondissements Grasse, das ganz mit Oliven bestanden war, wohnten 1880 60000 Menschen, auf den übrigen zwei Dritteln, die keine Ölbäume hervorbringen, nur 100002), ja, in dem dicht mit Olivenhainen bedeckten Sahel von Tunesien sollen auf 600 qkm 150000 Menschen wohnen, während dicht daneben Gebiete liegen, die nur 5—6 Menschen auf 1 qkm beherbergen. Ähnlich ist es in Apulien und anderwärts.

Für viele Millionen Menschen in den Mittelmeerländern, wie im alten Griechenland, so im heutigen und anderwärts, ist die Olive, getrocknet oder in Salzwasser eingemacht, eine Handvoll zum Brot gegessen, ist das Olivenöl, in das man das Brot taucht oder das man, wie die Berbern der großen Kabylei Algeriens, zum Brote trinkt, als Zutat und zur Bereitung der verschiedensten Speisen ein wichtiges unentbehrliches Nähr- und Genußmittel, noch mehr, für manche Gebiete ist Olivenöl der wichtigste, wenn nicht einzige Gegenstand der Ausfuhr, für welchen man sich alle sonstigen Bedarfsgegenstände, vor allem Brotstoffe, eintauscht. Darin tritt bereits die verkehrsfördernde Bedeutung des Ölbaums klar hervor. Doch haben Oliven und Olivenöl, wie noch gezeigt werden wird, als Gegenstand des Welthandels wohl niemals eine besonders große, wenn auch in früheren Zeiten eine verhältnismäßig größere Rolle gespielt, als in der Gegenwart, weil stets der größte Teil des Fruchtertrags im Lande selbst verbraucht wurde. Um so größer ist aber die wirtschaftliche Wichtigkeit des Ölbaums für die Länder, die ihn besitzen. Dieselbe ist so groß, daß nicht nur noch in neuerer Zeit in Sizilien und Sardinien, von den Venetianern auf Korfu und anderwärts hohe Belohnungen auf das Pflanzen von Ölbäumen gesetzt wurden, sondern daß schon im Altertum in Attika, dem klassischen Lande des Ölbaums, die Olivenzucht und die Ölausfuhr staatlich überwacht wurde, um dem Volke dieses wichtige Nahrungsmittel zu sichern und den Preis niedrig zu halten. Kostete doch zu Sokrates' Zeit in Athen ein Choinix (1,1l) Oliven nur 2 Chalkus (3 Pfennig). Kein Eigentümer durfte nach dem Gesetz in der Regel mehr als 2 Ölbäume im Jahre ausgraben. Für jeden Baum, der wider das Gesetz gefällt wurde, mußte eine Strafe von 200 Drachmen erlegt werden, von denen die eine Hälfte dem Angeber, die andere dem Staate zufiel, der seinerseits davon ein Zehntel der Athena weihte. Für einen bestimmten Teil des gewonnenen Öls hatte der Staat ein Vorkaufsrecht, was natürlich eine Überwachung der Ölausfuhr bedingte

Ist doch noch heute die Zubereitung aller Speisen mit Olivenöl für den an Butter und animalisches Fett gewöhnten Mittel- und Nordeuropäer eine der auffallendsten Erscheinungen, an denen er den Süden erkennt.

In solchem Maße ist der langsam wachsende und erst spät Ertrag gebende Ölbaum der wichtigste, ja fast einzige Besitz ganzer Länder, daß in den verschiedensten Abschnitten der Geschichte Beispiele bekannt sind, wo man einem Gegner, den man mit Waffengewalt nicht niederzwingen konnte, den Todesstoß gab, indem man seine Ölbäume, wie es die Ägypter im griechischen Freiheitskampfe taten und noch neuerdings auf Kreta Christen und Türken getan haben, systematisch niederhieb. Daß schon in der Bibel das Umbauen von Fruchtbäumen, worunter in erster Stelle Ölbäume zu verstehen sind, als ein fluchwürdiges Verbrechen bezeichnet ist, das auch dem Feinde gegenüber nicht erlaubt ist, würde auch die Engländer nicht abgehalten haben, ebenso zu verfahren, wenn die Burenfreistaaten Gebiete feststehender Ölbäume statt beweglicher Herden gewesen wären.

Wie im Altertum auf der Lampe der Stiftshütte und vor dem Bilde der Athena Polias, so brennt noch heute Olivenöl in der ewigen Lampe in St. Peters Dom. Olivenöl war, seit Samuel sein Horn mit Öl füllte, um Saul zum Könige zu salben, und Bischof Remigius am Weihnachtsfeste 496 den Franken Chlodwig zum christlichen Könige mit Öl weihte, das heilige Salböl der Herrscher, mit geweihtem Olivenöl salbt die katholische Kirche Sterbenden Hände und Fuße, die griechische Kranke überhaupt.

Columellas Wort, daß der Ölbaum der erste unter allen Bäumen sei, dürfte somit auch heute noch wahr sein. Wenn auch die Bedeutung desselben nicht mehr so groß ist, wie in der Welt des Altertums, wo Minerva im Wettbewerb der olympischen Götter um das wertvollste Geschenk, das die Götter den Menschen machen können, den Sieg davontrug, indem sie den Ölbaum aufsprießen ließ, der ihr fortan heilig ist. Wundervoll poetisch schildert Ferdinand Gregorovius im Hinblick auf die Olivenhaine der korsischen Balagna (Korsika S. 91) die kulturhistorische Bedeutung des Ölbaums......" an ihm haftet die Poesie der menschlichen Kultur. Wenn man unter einem grauen Ölbaume am Meeresstrande sitzt, wird man in das fromme, sonnige Morgenland entrückt, wo unsere Phantasie zu Hause ist, seitdem uns die Mutter die Bilderbibel aufschlug und vom Ölberge in Jerusalem erzählte. Und wieder rauscht aus diesem Baume die Poesie der Hellenen und die Weisheit der Minerva, und sie versetzt uns in das Land des Homer, des Pindar und Äschylus und unter die Musen und Götter des Olymp. Ein christlich hellenischer Baum ist der Ölbaum, ein doppeltheimischer; sein Zweig köstlicher als der des Lorbeers, das schönste Sinnbild des Glücks und des Friedens, und der Mensch sollte die ewigen Götter zuallererst bitten: schenkt mir ins Leben einen grünen Ölzweig."

Der Rahmen, der das Bild Karl Ritters auf meinem Schreibtische umschließt, ist mit früchtebeladenen Olivenzweigen geziert.

Zu allen Zeiten und in allen Ländern, wo Boden und Klima seine Einbürgerung gestatteten, hat dieser edle Fruchtbaum, den man den Fruchtbaum der Mittelmeerländer schlechthin nennen kann, im stofflichen und im geistigen Leben der Mittelmeervölker, von den Israeliten an, eine große Rolle gespielt und ist demselben seitens der Landwirte und der landwirtschaftlichen Schriftsteller, wie später seitens der Botaniker, besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden. Von Columella an gibt es in den verschiedensten Sprachen zahlreiche Abhandlungen über denselben, Anweisungen zu seiner Pflege u. dgl. Auch bei Geographen, Kulturhistorikern, Reisenden hat er immer Beachtung gefunden. Es liegt so eine reiche, weit verstreute Literatur über den Ölbaum vor, bald kurze Erwähnungen seines Vorkommens, seiner Pflanzung und Behandlung, der Verwertung seiner Früchte, der Gewinnung des Öls und seiner Rolle im Handel, bald systematische Abhandlungen. Auch ich habe in engstem Zusammenhange mit meinen sonstigen Studien über die Mittelmeerländer und auf meinen zahlreichen Reisen durch dieselben diesem Baume besondere Aufmerksamkeit geschenkt, namentlich auch vom pflanzengeographischen Gesichtspunkte aus, insofern seine Verbreitung sowohl nach der Höbe wie nach der geographischen Breite einen guten Anhalt für die Verbreitung der wichtigsten und charakteristischsten Vertreter der Mediterranflora gewährt, wie A. De Candolle auch auf der pflanzengeographischen Karte von Frankreich zuerst die Polargrenze der Olivenzucht zu der Mediterranflora gleichgesetzt hat. Für diese Ansicht, Gleichsetzung der Polar- und Höhengrenze des Ölbaums mit der Grenze der Mediterranflora, ist bekanntlich auch Grisebach bis zu einem gewissen Grade, neuerdings, namentlich im Gegensatz zu Drude, Flahault3) eingetreten. Bei mir hat sich diese Ansicht im Laufe von drei Jahrzehnten Mittelmeerforschung immer mehr befestigt, und ich bin mehr wie je geneigt, das Mittelmeergebiet pflanzengeographisch das Reich des Ölbaums zu nennen. Die beigegebenen Karten der Verbreitung des Ölbaums gewähren daher auch zum ersten Male einen Einblick in die wirkliche Verbreitung der Mittelmeerflora und lassen dieselbe als durch den warmen Anhauch des Mittelmeeres bedingt erscheinen.

Fast überall, außer etwa in Kleinasien, dürfen wir annehmen, daß der Ölbaum soweit verbreitet worden ist, als es nur irgend möglich erschien. Als seine Begleiter treten überall sofort auch einige der wichtigsten Vertreter der immergrünen Holzgewächse der Mittelmeerflora auf, wenige, wie die Immergrüneiche hie und da, steigen höher als er in den Gebirgen empor oder greifen weiter nach Norden aus, wie diese an der Ozeanküste Frankreichs. Wie räumlich beschränkt tatsächlich die Mittelmeerflora in den Mittelmeerländern selbst ist, das dürften zum ersten Male die beigegebenen Karten klar veranschaulichen. Es ist tatsächlich eine Küstenflora. Namentlich die südosteuropäische und die kleinasiatische Halbinsel sind gleichsam Bilder, die von schmalem immergrünem Rahmen umfaßt sind. Selbst von Südfrankreich, einem großen Teile Italiens und Algeriens gilt dies. Ebenso von Syrien, Barka und Tunesien. Gegenüber der geringen Fläche, die der Mittelmeerflora so zur Verfügung steht, muß ihr großer Reichtum um so mehr auffallen.

Im Laufe von dreißig Jahren habe ich so eine Fülle von Beobachtungsstoff und Nachweisen über den Ölbaum gesammelt, der nunmehr, durch Lücken ausfüllende Studien ergänzt und methodisch verarbeitet, ein Bild dieses edeln Fruchtbaums, unter Hintansetzung des rein Botanischen, nach seiner Geschichte, seiner Verbreitung, seiner wirtschaftlichen und kulturgeschichtlichen Bedeutung geben soll.

Von einer Zusammenstellung der Literatur sehe ich ab und begnüge mich mit Verweisen in Anmerkungen. Wo solche fehlen, liegen eigne Beobachtungen vor. Nur drei neuere Werke sollen hier erwähnt werden, weil dieselben die vorliegenden Studien teils nach der botanischen, teils nach der landwirtschaftlich-praktischen Seite ergänzen. Nämlich: L'Olivier par L. Degrully et P. Viala, aveo une introduction par M. Flahault. Annales de l'Ecole d'Agriculture de Montpellier. Annäe II—V. Montpellier 1886—90. Die Einleitung, von Seiten des wohlbekannten 'Botanikers und Landwirtschaftlers Flahault, ist wesentlich botanisch, das ganze reich mit schönen die verschiedenen Olivenarten veranschaulichenden Tafeln ausgestattete Werk ist vorwiegend praktisch landwirtschaftlich. Dasselbe gilt von A. Coutanoe: L'Olivier, Paris 1877, 456 S. Gr.-8°, und von G. Cappi: La coltivazione dell´ Olivo, San Remo 1875, 336 S. 8°.

aus "Der Ölbaum" von Theobald Fischer, 1904