Die reife Olive ist je nach der Art von verschiedener Größe, Farbe und Gestalt. Alle sind mehr oder weniger oval, aber die einen von der Größe einer Aprikose, wie tunesische Sorten, andere sind beerenartig (Horaz: bacca venafrana), nicht größer wie eine Kirsche. Die einen sind am äußern, stilfernen Ende abgerundet, die andern spitz. Es gibt birnförmige, elliptische, nußförmige. Ein und derselbe Baum hat zu gleicher Zeit, je nach Zutritt von Sonne und Licht, grüne, rote und schon ganz schwarze Oliven. Am wertvollsten sind die Oliven, wenn die Farbe von Rot in Schwarz übergeht. Bäume, welche zu reich tragen, haben meist wenig ölreiche Früchte. Bei voller Reife sind sie blauschwarz, vor Eintritt der Reife grün. In Syrien soll es bei völliger Reife weiße Oliven geben. Die fleischige Hülle umschließt eine harte Nuß mit mandelartigem Kerne.

Man würde es für selbstverständlich halten, daß man die Olive wie jede andere bessere Frucht pflückt. Doch wird dies bei der geringen Größe der Frucht zeitraubende und daher kostspielige Verfahren mit Hilfe von Stehleitern nur in wenigen Gegenden angewendet, wo eine hochgestiegene Kultur höchstwertige Oliven hervorbringt, und auch da meist nur zur Gewinnung von Speiseoliven, ausnahmsweise zur Erzeugung eines besonders feinen Öls. In europäischen Pflanzungen Algeriens zahlt man 1 1/4—1 1/2 Franc für das Pflücken von 50 kg Oliven, was natürlich den Ertrag sehr herabsetzt. Gewöhnlich schüttelt man die Bäume, besonders wenn sie sehr hoch sind, und fängt die Früchte auf aufgespannten oder am Boden ausgebreiteten Tüchern auf. Damit gewinnt man zwei Drittel der Früchte; das dritte Drittel schlägt man ab. Noch häufiger aber schlägt man alle Früchte mit Stangen ab, wobei eigentlich nur an die Äste geschlagen werden soll. Bei diesem Verfahren bekommen die Früchte natürlich Flecken, so daß sie leicht faulen. Vor allem beruht wohl darauf in erster Linie die Tatsache, daß der Baum nur ein Jahr ums andre trägt, da eben mit den Früchten auch das junge Tragholz abgeschlagen oder beschädigt wird. Doch hat man beobachtet, daß auch Bäume, die nicht dieser rohen Behandlung unterworfen werden, gewöhnlich nach einem guten Jahre nur eine mittlere oder schlechte Ernte geben, so daß man auf 3 Jahre 1 1/2 volle Ernte rechnen kann. In Kalifornien hat man jedoch durch sorgsame Beschneidung und Pflege bereits erreicht, daß der Baum alle Jahre trägt. Auch in Algerien ist man in derselben Weise auf 1 1/2 volle Ernte in 2 Jahren gekommen. Aber jeder Baum verhält sich verschieden, so daß durchaus nicht ein Jahr ums andre die Ernte ganz ausfällt. Immerhin wechseln in Griechenland bei der dort üblichen schlechten Behandlung des Baumes eine gute und eine schlechte Ernte so regelmäßig ab, daß man den durchschnittlichen Ertrag eines Ölgartens nur immer in zweijährigen, nicht in einjährigen Leistungen ausdrückt1). Dabei wechseln auch die einzelnen Gegenden miteinander ab. Auf Korfu liefern auch die Jahre der Leistungsfähigkeit recht ungleiche Erträge. Auf ein Jahrzehnt fällt in der Regel nicht mehr als eine Vollernte1). Auf Kreta ist der Unterschied der Jahreserträge so groß, daß beispielsweise die Ernte 1886/87 55 Mill. kg, 1887/88 nur 12 Mill. kg betrug3).

aus "Der Ölbaum" von Theobald Fischer, 1904